buechernachlese.de
|
Marian ist ungefähr vom selben Jahrgang wie ein gewisser, mit der
späten Geburt begnadeter, deutscher Politiker. Marian stammt aus Warschau
und trifft vor einigen Jahren den Autoren Uri Orlev in Jerusalem. Ihm erzählt
er seine Geschichte, die für ihn noch heute eine "empfindliche
Angelegenheit" ist. Uri Orlev soll also bitte nichts darüber schreiben.
"Aber nur solange du lebst."
"In Ordnung. Jetzt hast du einen guten Grund, länger zu leben
als ich."
Marian ist zwei Monate später bei einem Flugzeugunglück ums
Leben gekommen.
Uri Orlev hat mit dem Nacherzählen der Geschichte von Marian ganz
bestimmt keinen Verrat an seinem Freund begangen, und in Mirjam Pressler
eine Übersetzerin aus dem Hebräischen gefunden, die die ganze
Dramatik dieser Geschichte nachspürbar gemacht hat.
Marian ist 14 Jahre alt, als Antoni, sein Stiefvater ihn mit in die
Kanalisation nimmt, um Nahrungsmittel in das Ghetto zu schmuggeln. Marian
hält Antoni für einen "Primitivling", aber er teilt vorerst
dessen Abneigung gegen Juden, die beinahe jeden Preis für das zahlen,
was er an Lebensmitteln organisieren kann. Marian und zwei Freunde erpressen
sogar Geld von einem aus dem Ghetto geflohenen Mann. Seine Mutter erwischt
ihn dabei, und sie vertraut ihm das Geheimnis der Herkunft seines Vaters
an, das schlagartig sein Leben verändert. Marians Vater war kommunistischer
Widerstandskämpfer ... und Jude. Da trifft Marian Herrn Jozek, der ebenfalls
dem Ghetto entkommen ist. Er versteckt ihn. Aber als ihm Ghetto der Aufstand
losbricht, will Herr Jozek zurück. Marian wagt es, Herrn Jozek durch
die unterirdischen Gänge zu führen. Niemand darf davon wissen,
vor allem Antoni nicht ...
Diese Geschichte hat sich wirklich zugetragen, Uri Orlev brauchte also
keine literischen Kunstgriffe anwenden, um für Spannung zu sorgen.
Eine Spannung, die Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen in den
Bann zu ziehen vermag.
Das deutsche Politikerkind hatte oft Schwierigkeiten damit, Vorreiter
zu sein, weil ja die anderen nicht mitmachen würden. In Marian hätte
er einen Vorreiter in Sachen Scham-und Erinnerungsvermögen, dem er
sich nun vertrauensvoll anschließen könnte.
Weitere Besprechungen zu Werken von Uri Orlev siehe:
Uri Orlev: Der Mann von der anderen Seite (1990)
Uri Orlev: Das kleine große Mädchen (1997)