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Marcel Reich-Ranicki

Die Anwälte der Literatur

Essays. DVA, Stuttgart 1994, 360 S., ISBN: 3-421-06564-0, >>> Amazon
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"Schön war sie nicht, auch nicht anmutig, besondere Klugheit wurde ihr nie nachgerühmt. Gleichwohl ist Schlegel von ihr, wenn man den Zeitzeugen glauben darf, sofort tief beeindruckt gewesen."
So Marcel Reich-Ranicki über die "Berliner Jüdin" Henriette Herz, zu der er im übrigen noch auf derselben Seite erläutert, daß sie ihren Mann, den "romantischen Propheten" Friedrich Schlegel "fortwährend beraten" und zudem Buchbesprechungen, Übersetzungen aus dem Französischem und "viele nachdenkliche Briefe" verfaßt hat.
Solche Randnotizen lassen sicher nicht nur einem die Haare zu Berge stehen. Dennoch werden nur wenige DIE ANWÄLTE DER LITERATUR wutentbrannt beiseitelegen, auch wenn sich "plakative" Widersprüche dieser Art in so manch anderem der insgesamt 23 Kurzportraits finden. Denn Marcel Reich-Ranicki hat den "Charme" eines sich zu einem Standpunkt bekennenden Subjekts, der sehr wohl von den vielen anderen Standpunkten weiß. Damit er sich aber nicht andauernd relativierend rückversichern muß, steckt er seine Passion eng ab - bisweilen zu eng! Aber dieses Feld beherrscht er in unseren Landen wie kaum ein zweiter.
Ob nun vorwiegend als Kritiker bekannt wie Nicolai, Schlegel, Börne oder Kerr oder vor allem darüber hinaus wie Lessing, Goethe, Heine und Thomas Mann, über alle trifft er sein dezidiertes Urteil. Dabei wird von ihm das Positive wie das Negative reichhaltig belegt und nach Quellen ausgewiesen, um schließlich an seiner Vorstellung von Literaturkritik (und Weltsicht) gemessen zu werden.
Seine Verehrung für die von ihm ausgewählten Kritikerfürsten (und einer Fürstin) ist also alles mögliche, nur nicht blind und ungeteilt. Seine diffuse Haltung den Frauen gegenüber und das, was er dann doch als "preussisch" oder/und "jüdisch" apostrophieren zu müssen glaubt - nun, das lernt man als eine seltsame Unart kennen, die von ihm sicher nicht wirklich dumm oder böse gemeint ist, aber eine dumme oder böse Wirkung haben könnte, die er in all seiner Sprachverliebtheit offenbar nicht wahrzunehmen vermag. Würde sonst seinem kurzweiligen Witz oder den pontierten Seitenhieben die Schärfe genommen? Sicher nicht! Rezensenten wie unsereinem bietet er mit diesem Buch auch ohne diese Zutaten fundierte Einblicke und eine griffige Zusammenschau dessen, was eine bündige Literaturbetrachtung sein kann.
Nur schade, daß er seine zwischen den Jahren 1961 und 1993 gesammelten Aufsätze, Reden und Essays ohne übergreifendes Konzept aneinandergereiht hat - nicht, weil er so desöfteren einige seiner geliebten Zitate wiederholt, aber dann hätte er nicht nur wie bei Jacobson und Tucholsky etwas mehr von dem Kolorit damaliger Leserschaften eingebracht und eventuell auch noch die dürftigsten biographischen Daten seiner "Helden" vervollständigt und den jeweiligen Texten leserfreundlich vorangestellt.

Weitere Besprechungen zu Werken von Marcel Reich-Ranicki siehe:
Marcel Reich-Ranicki: Die Anwälte der Literatur (1994)
Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben (1999)

Buechernachlese © Ulrich Karger


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