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Der Polizeipsychologe Thor Voelcker soll ein Täterprofil entwerfen.
Die Ausgangslage zu seinen Untersuchungen ist allerdings mehr als dürftig.
Ihm wird lediglich mitgeteilt, daß in einem Nachtclub ein FBI-Agent
skalpiert wurde. Das Opfer überlebte zwar den Anschlag, kann und will
sich aber später nicht einmal darauf festlegen, ob der Täter
ein Mann oder eine Frau war. Voelcker spürt, daß die Ungenauigkeit
in diesem Punkt ausnahmsweise nicht nur mangelnden Kooperationwillen zwischen
Vertretern zweier Behörden signalisiert, sondern auf einer tatsächlichen
Unsicherheit des Befragten beruht. Er sucht daraufhin nach Insider-Wissen
über die Neigung, die Geschlechterrolle zu wechseln. Die indianische
Ethnologin Joan bzw. John Bayou sowie die Drag Queen Elektra sind aber
bald nicht nur Informanten, sondern sehen sich in den Strudel eines Komplotts
hineingesogen, der seine ersten Kreise bereits im Zweiten Weltkrieg zog.
Fesselnd wie ein Grisham und literarisch ambitioniert bzw. "pikaresk"
wie Günter Grass beweist Michael Roes mit seinem neuen Roman "Der
Coup der Berdache", daß "gute" Literatur im besten Sinne verwirrend
und zugleich mitreißend sein kann. Drei sich einander abwechselnde
Stimmen weben einen Erzählteppich, der so manche vermeintliche Gewißheit
auf den Kopf stellt. Egal, ob es nun um die Geschlechterrollen geht oder
die Integrität amerikanischer Behörden. Selbst die Dialoge verschwimmen
hier zu einem, die einzelne Stimme zuweilen unkenntlich machenden Ganzen,
da ja auch die Wechsel zwischen Täter- und Opferrolle fließend
sind. Und diese Stimmen sind von einer wunderbaren Lakonie, daß einem
immer wieder das Lachen im Halse stecken bleibt. Am Ende wird man dieses
Buch voller Erwartung auch noch ein zweites Mal lesen - und wieder Neues
entdecken, z.B. die punktgenaue Poesie, mit der Roes Orte wie einen Sexclub
oder ein Indianerreservat beschreibt, oder solch kleine Anspielungen, wie
den Namen Pauline Kerr für eine Kritikerin der Times. Das Verblüffendste
aber dürfte sein, daß der Autor kein US-Amerikaner ist, so unaufdringlich
vermochte Roes seine offenkundig fundierten Recherchen in Literatur umzusetzen.
Weitere Besprechungen zu Werken von Michael Roes siehe:
Michael Roes: Der Coup der Berdache (1999)
Michael Roes: Haut des Südens (2000)