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Einen Monat vor Beginn des ersten Weltkriegs erwartet Ira die Ankunft
seiner Verwandten aus Galizien. Er selbst, Jahrgang 1906, lebt schon seit
seinem zweiten Lebensjahr in New York. Allerdings ist die in der Lower
East Side gewachsene Selbstsicherheit heftig erschüttert worden. Erst
der Umzug in das von Iren dominierte Viertel und nun auch noch diese Greenhorns,
die zwar die Familie zur Größe eines Clans aufbauschen, aber
vom American Way Of Life keine Ahnung haben. Sich und seinen Ängsten
selbst überlassen, entwickelt Ira eine immer stärkere Abneigung
gegen seine Familie, seine Herkunft, .. sein Judentum.
DIE GNADE EINES WILDEN
STROMS ist Henry Roths zweiter Roman. Zwischen der Veröffentlichung
des ersten und diesem liegen exakt 60 Jahre.
Dabei war "Nenne es Schlaf"
ein Millionenerfolg und der Autor in der Nachkriegs-Presse als "rechtmäßiger
Ahne" u.a. von J.D. Salinger, John Updike und Philip Roth gefeiert
worden. Auch jetzt sieht man sich bald von einem pointenreichen Erzählfluß
mitgerissen. Eingehende Beschreibungen der näheren Umgebung korrespondieren
mit der zartbitteren Situationskomik eines Jungendaseins im alltäglichen
Überlebenskampf. Kein Wunder, daß Ira die Weltnachrichten zwischen
den Jahren 1914 und 1920 erst interessieren, als auch sein Lieblingsonkel
Moe zum Militärdienst eingezogen wurde. Aber Henry Roth kann es sich
und seinen Lesern nicht so einfach machen. Was auf der Hauptebene zumeist
in einer ironischen Spitze mündet, wird immer öfter von kommentierenden
Einschüben gebrochen. In ihnen ringt der greise Autor mit seinem zum
Gesprächspartner erhobenen Computer um Wahrhaftigkeit, nennt Gründe
für sein langes Schweigen und gewährt zugleich eine unschätzbare
Nahaufnahme eines "working in process".
Nicht von ungefähr
wurde dieses außergewöhnliche Werk in den USA als das "literarische
Comeback des Jahrhunderts" gefeiert.
Siehe auch Rezensionen zu:
Henry Roth: Die Gnade eines wilden Stroms (1996)
Henry Roth: Ein schwimmender Fels am Ufer des Hudson (1997)
Henry Roth: Nenn es Schlaf (1998)