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1907 übersiedelt der knapp zweijährige David Schearl mit seiner
Mutter von Galizien in die Lower-East-Side New Yorks. Der vorausgezogene
Vater erweist sich aber bereits beim ersten Kennenlernen als jähzornig
und unberechbar. David klammert sich umso mehr an seine liebevolle Mutter,
die sich wiederum wegen ihrer mangelnden Sprachkenntnisse nur noch auf
das Kind konzentriert. Aber nicht nur die überfürsorgliche Mutter
und der ihn stets verachtende Vater treiben David schließlich mit
8 Jahren zu einer Wahnsinnstat an. Die Lower-East-Side ist das Armenhaus
New Yorks und alle Kinder sich selbst und ihren anerzogenen religiös-ethnischen
Ressentiments (insbesondere zwischen Juden und Christen) ausgeliefert.
Daß Kiepenheuer & Witsch NENN ES SCHLAF nun wieder in neuer
(hervorragender!) Übersetzung vorlegt, hat sicher auch mit den Erfolgen
der beiden letzten im Beltz-Verlag erschienen Romane von Henry Roth zu
tun. Zwischen diesen, von kommentierenden Einsprengseln durchbrochenen
Werken und seinem Erstlingswerk veröffentlichte Roth immerhin 60 Jahre
lang keine Romane mehr.
NENN ES SCHLAF hat über die Jahre hinweg nichts an seiner Aussagekraft
verloren. Die Entschlüsselungen der letzten Romane im Kopf hat die
Lektüre von NENN ES SCHLAF einen besonderen Reiz und beweist zugleich
die frühe, nicht umsonst durch eine weltweite Millionenauflage gewürdigte
Meisterschaft Roths. Seine Millieuschilderungen können sich in ihrer
Genauigkeit mit Zilles Bilder messen, die Poesie in der Beschreibung kindlichen
Ausgeliefertseins übertrifft sogar einen Hermann Hesse. Gerade auch
die im Slang überlieferten Dialoge zwischen den Kindern dürften
seiner Zeit um Jahre voraus gewesen sein. Man liest dieses Buch atemlos
bis zu letzten Seite, stets um diesen Unglückswurm David bangend,
der wie durch ein Wunder das permanente Schlingern zwischen Skylla und
Charybdis überlebt - und mit seiner Überlebensgeneration die
Generation unserer kriegerischen Vorväter bildete.
Siehe auch Rezensionen zu:
Henry Roth: Die Gnade eines wilden Stroms (1996)
Henry Roth: Ein schwimmender Fels am Ufer des Hudson (1997)
Henry Roth: Nenn es Schlaf (1998)