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Büchernachlese-Extra: SF/Fantasy nicht nur für die Jugend

Joanne K. Rowling

Harry Potter und der Halbblutprinz (Bd. 6)

Roman ab 13 Jahre. Aus dem Englischen von Klaus Fritz. Carlsen Verlag, Hamburg 2005. 656 Seiten. EUR 22,50 Euro. ISBN: 3-551-56666-6, >>> Amazon
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Diesmal keine Anfangsszene im Haus der Dursleys, sondern beim britischen Premierminister persönlich. Die Lage spitzt sich zu, die Anhänger Lord Voldemorts schrecken immer weniger vor Anschlägen in der Muggelwelt zurück. Als Harry Potter sein sechstes Schuljahr in Hogwarts beginnt, gelten strengste Sicherheitsbestimmungen. Immerhin tröstlich, dass er nun nicht mehr das Fach "Zaubertränke" bei Snape besuchen muss - nur um dann festzustellen, dass der ihm verhasste Professor für dieses Jahr das Fach "Verteidigung gegen die dunklen Künste" übernommen hat ...

Im sechsten Band der Harry Potter Reihe wird der grandiose Erzählteppich J.K. Rowlings bis auf sein Herzstück vervollständigt. (Wer unterhaltsam Tiefschürfendes über die ersten Bände nachlesen will, sei hier noch einmal nachdrücklich auf das Buch Warum Nabokov Harry Potter gemocht hätte von Michael Maar hingewiesen.)
Harry wird neben seiner Verantwortung als neuer Kapitän der Quidditch-Mannschaft und seinem nun zwar gekürzten, nichtsdestotrotz sehr arbeitsintensiven Stundenplan zum direkten Gehilfen des Schulleiters Dumbledore. Gemeinsam erforschen sie die Herkunft Lord Voldemorts, und decken dabei das eigentliche Ziel dieses Erzbösen auf.
Das Ende dieses Romans ist dann von herzzerreißender Traurigkeit und lässt einen umso mehr nach der Auflösung im siebten Band sehnen. Denn Eines scheint sicher, J.K. Rowling wird ihre Leser nicht enttäuschen bzw. ihr bisher gehaltenes Niveau nicht unterbieten.

Es ist schlicht bewundernswert und neidlos anzuerkennen, wie es Rowling gelang, in bislang allen Bänden den Grundton zu halten, dabei ihre Figuren in sich stimmig zu entwickeln, ein überbordendes Füllhorn an subtilen bis knalligen Überraschungen auszuschütten und zu keiner Zeit Ausgangspunkt und Endknoten der einzelnen Fäden ihres Epos aus den Augen zu verlieren. Die Zuordnungen Kinder-, Jugend- oder Erwachsenenbuch verwischen hier in umgekehrter Weise zu den Grimm'schen Märchen, die ja einst ausschließlich für Erwachsene gedacht waren.
Jene Kritikaster, die ein Schwächeln nach dem 4. Band festzustellen meinten, übersahen offenbar die immanenten Gesetzmäßigkeiten dieser Reihe: Harry Potter wird Band für Band um ein Jahr älter, und natürlich ändern sich dann auch die formalen und inhaltlichen Prioritäten der jeweiligen Einzelbände, so dass der 5. Band als Scharnier zu einer neuen Erfahrungsdimension der Handlungsträger nötig wurde. Der 6. Band ist nun wieder in sich geschlossener, doch passend zu den mittlerweile 16-jährigen Protagonisten auch melancholischer eingefärbt als die ersten vier Bände.

Zuletzt noch eine Replik auf den sich in der ARD am 9.10.2005* zu diesem Band zwar insgesamt wohlwollend äußernden Denis Scheck, der als regelmäßig sich meist brillant in Szene setzender Scharfrichter der Top-Ten jedoch auch meinte: "Je älter er (Harry Potter) allerdings wird, desto alberner erscheint das Herumgetänzle Rowlings um das Thema Sex: Im Zaubererinternat Hogwarts wird niemals onaniert. Das ist schade, weil durch diese unnötige Entfernung von der Wirklichkeit die Kluft zwischen dem Unsagbaren und dem Unsäglichen unnötig erweitert wird."
Ist das nun die Selbstentlarvung eines eigenen Defizits oder nur nonchalant zutage tretende Ahnungslosigkeit gegenüber dem Genre Fantasy? Auch wenn Harry Potter zugleich in der gegenwärtigen Welt lebt, agiert er doch vorrangig in der magischen - und hier ist er mit dem, was er kennen lernt und zu bewältigen hat, weit mehr ausgelastet (und angeregt!) als die vor TV oder PC sitzenden Jugendlichen.
Unbestritten machen Jugendliche und Kinder heutzutage schon sehr früh erste sexuelle Erfahrungen, doch dazu gibt es längst ausreichend Lesestoff - nicht zuletzt mit dem Tenor, sich nicht von trendigen Erwartungshaltungen unter Druck setzen zu lassen. In Märchen, Sagen und vergleichbaren Erzählwerken ist aber in der Regel nicht die Sexualität, sondern die Liebe Ingredienz der Handlung. Sexualität kommt vor, aber stets nur andeutungsweise. Und Rowlings hat in diesem Band einen sehr guten Mittelweg gefunden, indem sie Harry, Ron und Hermine das ganze Buch über mit sehr altersgemäßen Verliebtheiten und Eifersüchteleien inklusive "Knutschereien" konfrontiert. Und gäbe sie dieser effektheischenden Provokation Schecks nach, wäre er der erste, der sich über ein ausschweifendes Zuviel an Themensetzungen innerhalb ihres Epos erregen würde.
Nein, Kritisches gäbe es durchaus an anderer Stelle anzumerken. So scheint Harry Potter zuweilen entgegen seiner exzellenten Zeugnisse nur über relativ wenig Kognition zu verfügen und allein auf seine magische Intuition reduziert zu sein. Jahrgangsjüngere wie Ginny Weasley müssen deshalb Kenntnisse einbringen, die Harry eigentlich auch zu Gebote stehen sollten. Dass man sich dann aber doch nicht allzu sehr daran stört, liegt einmal mehr an der mitreißenden Dynamik dieses Romans, die einen gehetzt durch die Seiten treibt - und am Ende dem letzten Band entgegenfiebern lässt.

*(Nachtrag: Da dieser Harry Potter Band "natürlich" auch noch am 20.11.2005 den ersten Platz der Bestsellerliste einnahm, war nun im Tagesspiegel desselben Tages - und später auch im Archiv der entsprechenden ARD-Homepagesite - die neue Denis-Scheck-Druckfrisch-Version dazu nachzulesen:
"Der neue, der sechste Harry Potter ist besser als sein Vorgänger "Harry Potter und der Orden des Phönix". Man kommt sich ja schon vor wie die "Maulende Myrte", wenn man Einwände gegen den im Ganzen imponierenden, im Detail liebevollst ausimaginierten Romanzyklus Rowlings erhebt. Eines sei aus narzisstischer Kränkung jedoch angemerkt: Einer so versierten Jugendbuchautorin sollte es nicht unterlaufen, dass die Dicken stets die Dummen sind. Eine Petitesse, gewiss. Aber wenn Sie in jedem Potter-Roman spaßeshalber einfach mal statt dick blind, schwul oder schwarz lesen - oder besser noch: blind, schwul und schwarz -, werden Sie verstehen, was einen an solchen Stereotypen stören kann. Andererseits: Darf man denn jetzt nicht mal mehr in der Literatur seine Vorurteile ungestört ausleben?"
Honi soit qui mal y pense - die Argumentation für dieses gar nicht mal so kleine Haar in der Suppe ist jedenfalls nun um einiges einleuchtender als die vorangegangene ...)

Siehe auch die Besprechungen zu:
Michael Maar: Warum Nabokov Harry Potter gemocht hätte
Michael Maar: Hilfe für die Hufflepuffs
Joanne K. Rowling: Harry Potter und der Halbblutprinz

Buechernachlese © Ulrich Karger


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