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Populäre Literatur, auch solche, die sich wegen ihres Märchen- oder Fantasycharakters nicht zuletzt an Kinder und Jugendliche wendet, gerät immer öfter ins Visier literaturwissenschaftlicher Betrachtung in eigens dafür verfassten Büchern.
Was Friedhelm Moser in "Jim Knopf und die sieben Weisen" noch eher augenzwinkernd unternahm, bedeutete dann bereits für Michael Maar in "Warum Nabokov Harry Potter gemocht hätte" eine durchaus ernsthafte Auseinandersetzung. Eine weitere Steigerung an Seriosität hat nun J.R.R. Tolkiens "Der Herr der Ringe" erfahren.
Die Herausgeber Gregory Bassham und Eric Bronson versammelten in "Der Herr der Ringe und die Philosophie" insgesamt 13 Aufsätze, die unter fünf Kapitelüberschriften dessen philosophischen Aspekte erhellen. Die Herausgeber selbst wie auch die elf weiteren Autoren und Autorinnen decken darin als Dozenten, Professoren, Dekane und Direktoren unterschiedlicher US-Colleges und Universitäten die Fakultäten Englisch, Ethik, Philosophie, Religions- und Umweltphilosophie ab.
Doch keine Angst vor deren fundierter Auseinandersetzung mit dem "beliebtesten Buch der Welt"!
Denn was hierzulande für Professoren rufschädigend scheint, hat unter ihren Angelsächsischen Kollegen insbesondere aus den USA eine lange und gute Tradition: Debatten über scheinbar "nur" populäre Gegenstände aus der Unterhaltungsbranche nicht zu scheuen und dabei komplexe und anspruchsvolle Erörterungen eines Themas in so einfacher - nicht vereinfachender! - wie klarer Sprachregelung zu handhaben, so dass auch interessierte Laien dazu problemlosen Zugang finden. (Die Übersetzungsleistung von Susanne Held darf hierfür als wichtiges Plus natürlich nicht unerwähnt bleiben.)
Dieses Buch leistet gleich zweierlei: Zum Einen lässt es in fünf Teilabschnitten die eigene Lektüre(n) des "Herrn der Ringe" wiederaufleben und vertiefen.
In Teil I werden durch explizite Anfragen an die Aspekte Macht, Moral und Wahlmöglichkeiten gestellt, die der "eine Ring" evoziert. Das führt u.a. zu Platons Geschichte von Gyges, die Bedrohung durch neue Technologien bis hin zur Zuordnung des Ringes als Fetisch. Im daran anschließenden Teil geht es um die Suche nach Glück und der begrenzten Freude von Elben, worin sie den Existentialisten gleichen. Teil III fragt nach "Gut und Böse in Mittelerde" und setzt sich hierfür mit "Nietzsche und der Wille zur Macht", mit "Tolkien und die Natur des Bösen" sowie "Tugend und Laster im Herrn der Ringe" auseinander. Teil IV hat "Zeit und Sterblichkeit" als Überschrift - ein besonders spannender Teil, der "Sterblichkeit als Gabe" erörtert sowie Tolkiens Interpretation von "Moderne und die Rolle der Tradition" und schließlich auch die bei Tolkien präsenten Umweltthemen abhandelt. Der letzte Teil geht unter "Schlüsse und Erlösungen" innerhalb des "Herrn der Ringe" der "Vorsehung und dramatischen Einheit" nach und erläutert unter "Sams und Frodos Extrem-Abenteuer" das Motiv der Reise bei Tolkien.
Als Zweites gelingt den Beiträgen dieses Buches das Neugierigmachen auf die darin zitierten Philosophen. Denn tatsächlich funktioniert hier der Umkehrschluss, der in dem Buch auch für Tolkiens Figuren behauptet wird, wonach "sie Aspekte der westlichen Philosophie veranschaulichen und erklären". Es wäre deshalb keineswegs verwunderlich und gewiss kein unerwünschter Nebeneffekt, wenn sich manche Leser im Anschluss dieser Lektüre auch an den Werken der darin zitierten Philosophen versuchen würden.
Insgesamt also ein so eingängiges wie horizonterweiterndes Leseerlebnis, welches selbst das Vergnügen am "Herrn der Ringe" noch zu vermehren hilft und womöglich auch noch Mut für literarisches Neuland macht.
Weitere Besprechungen zu Werken von J.R.R. Tolkien siehe:
Büchernachlese-Extra: J.R.R. Tolkien