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LeserInnen, die Umberto Ecos DER NAME DER ROSE verschlungen haben, können
sich nun erneut in einen gut 750 Seiten dicken, wunderbar ausgestatteten
"Schmöker" vertiefen, der im Umfeld kirchengeschichtlicher
Intrigenspiele des Mittelalters seinen Erzählfaden aufnimmt.
Anno Domini 1244 entbrennt zwischen Papst und Kaiser, Ketzern (Katharer),
Tempelrittern und Assassinen der Kampf um zwei Kinder, deren Herkunft und
Bestimmung, nicht nur nach dem Glauben der Katharer(=die Reinen), es ermöglicht,
das Machtgefüge der Welt aus den Angeln zu heben. DIE KINDER DES GRAL
werden von der sie umgebenden Lobby eines buntgewürfelten Interessenverbandes
in die direkte Blutsverwandschaft zu Jesus Christus gesetzt: Der Heilige
Gral = San Gral = Sang Réal = Heiliges Blut ist in seiner Konsistenz
bis heute ungeklärt. Ist es ein Stein oder ein Kelch mit den aufgefangenen
Blutstropfen Jesu oder eben das Wissen um geheime Dinge wie die Dynastie
des königlichen Hauses Davids über Jesus von Nazareth bis nach
Okzitanien hinein?
Peter Berling, u.a. auch ein Tausendsassa der Filmbranche, sagt von
sich selbst: "Im hohen Mittelalter kenn' ich mich besser aus als im
18. oder 19. Jahrhundert. Man sagt ich sei ein Renaissance-Mensch, aber
ich hätte lieber am Hofe Friedrichs II. gelebt und ihn - mit meiner
Kenntnis der Zusammenhänge und Konsequenzen - beraten."
Nicht nur seine überprüfbaren Anmerkungen im umfangreichen
Anhang weisen in tatsächlich als einen Kenner aus, der in der seltenen
Lage ist, aus seiner Kenntnis ein farbenprächtiges und plausibles
Panorama jener Zeitläufte zu vermitteln. Seinem Protagonisten, dem
Franziskaner Willem von Roebruck, wird Schicht um Schicht der frommen Naivität
abgerissen, bis er die Würdenträger aller religiösen "Gattungen"
als das durchschaut, was sie sind: Machthungrige Wölfe, die mehr oder
weniger nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind - ganz egal, ob sie
nun eine "Koalition" der drei Schriftreligionen gegen die gefürchteten
mongolischen "Horden" entwickeln oder die Vorherrschaft ihrer Glaubensgemeinschaft
gegen den Kaiser ausbauen wollen: Ein mittelalterliches "Dallas"
also. Die Kinder des Gral haben sich stets deren Kalkül unterzuordnen,
werden je nach Interessenlage hin und her geschoben. Der Junge und das
Mädchen, beide von erfrischender Lebhaftigkeit, entwickeln jedoch
genügend Selbstbewußtsein, um schließlich sich selbst
und auch ihren geliebten Willem zu schützen.
Nota bene: In diesem Roman geht es nur ganz selten um den Glauben an
den einen Gott. Peter Berling erzählt eine Kirchengeschichte, die
sich so oder ähnlich tatsächlich abgespielt haben könnte,
und wenn man heutzutage wieder zu lesen bekommt, wie beispielsweise katholische
Würdenträger inklusive Papst ihr Ränkespiel um die nachwievor
geheimgehaltenen Qumrantexte treiben, handelt es sich offenbar um eine
durchaus aktuelle Geschichte.
Weitere Besprechungen zu Werken von Peter Berling siehe:
Peter Berling: Die Kinder des Gral (1991)
Peter Berling: Der schwarze Kelch (1997)
Peter Berling: Der Kelim der Prinzessin (2005)