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In der siebten Klasse treffen Bastian, Chloé und Neville zum ersten Mal in einer Theater-AG aufeinander und wissen noch wenig miteinander anzufangen. Ab der neunten Klasse sieht es sogar so aus, als würden sich die drei endgültig aus den Augen verlieren. Doch nach dem Abi mit knapp 18 Jahren begegnen sie sich wieder in der Schauspielschule des alten Jeanson. Er fördert und fordert das Trio besonders, in einen von ihnen setzt er sogar die Hoffnung, es auch in Paris schaffen zu können - doch jetzt müssen sie erstmal lernen, wie viele Arten es allein gibt, "Ich liebe dich!" zu sagen …
Mit "3000 Arten Ich liebe dich zu sagen" legt die preisgekrönte französische Kinder- und Jugendbuchautorin Marie-Aude Murail einen Entwicklungsroman vor, der mit bezaubernder Leichtigkeit die Rollenspiele und Sehnsüchte dreier Jugendlicher thematisiert. Im Gegensatz zu der üblichen Rollenverteilung wie sie z.B. innerhalb einer allgemeinbildenden Schule gegeben ist, bilden die drei Schauspielerschüler eine Auslese mit sehr individuell gezeichneten Zügen, die sich dennoch oder gerade wegen ihrer Unterschiede in einer Phase ihres Lebens zu einem unzertrennlichen Trio vereinen.
Während Neville sich allein um seine kränkelnde und meist nur um sich kreisende Mutter kümmern muss und, was die Wahrnehmung seiner Nöte angeht, es auch Bastien mit seinen Eltern nicht leicht hat, die trotz ihres mit Überstunden betriebenen Ladens Schulden anhäufen, ist Chloè das behütete Kind aus "gutem Hause". Doch der Ehrgeiz von Chloè ist gepaart mit für das Theater eher unzuträglicher Schüchternheit, Bastien hingegen verfügt bereits über ein großes Talent als Komiker und Neville kennt keine Hemmungen, auf der Bühne seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Auch wenn am Ende nicht alle drei die Prüfungen in Paris bestehen werden, haben alle drei dann einen für sie gewinnbringenden Schritt ins Erwachsensein geschafft.
Die in der Jugend alltäglichen, nicht zuletzt von großen Unsicherheiten geprägten Rollenspiele denen auf der Theaterbühne gegenüberzustellen, ist ein genialer weil eigentlich doch nahe liegender Kunstgriff. Den nutzt Murail - wie stets von Tobias Scheffel großartig übersetzt -, um in ihrer bekannt lakonisch-eleganten Sprachregelung für Irritationen zu sorgen, die einerseits erheitern aber eben auch zu tieferen Einsichten führen. Ganz abgesehen davon, dass die Leser hier en passant auch an weltberühmte Zitate aus der klassischen Theaterliteratur herangeführt werden und erfahren, wie anstrengend und herausfordernd eine professionelle Schauspielausbildung sein kann. Etwas sperrig ist allerdings die von Murail eingeführte Wir-Perspektive, wenn von allen dreien die Rede ist, um deren wachsend enge Verbindung zu unterstreichen. Das wirkt ein wenig übermotiviert und muss zuletzt doch als Perspektive einer erzählenden Person aufgelöst werden. Aber diese kleine Mäkelei sollte nicht überbewertet werden.
Denn Murail erzählt in "3000 Arten Ich liebe dich zu sagen" eine mitreißende Geschichte von drei jungen Menschen, die den Mut haben sich auszuprobieren und einzulassen, nicht nur auf der Bühne, sondern auch als miteinander zärtliche Gemeinschaft einer im guten Sinne anstößigen Ménage-à-trois, die jeden sein lässt, wie er ist und gerade das Andere am Anderen zu schätzen weiß.
Weitere Besprechungen zu Werken von Marie-Aude Murail siehe:
Marie-Aude Murail: Von wegen, Elfen gibt es nicht! (2002)
Marie-Aude Murail: Simpel (2007)
Marie-Aude Murail: Über kurz oder lang (2010)
Marie-Aude Murail: Vielleicht sogar wir alle (2012)
Marie-Aude Murail: Blutsverdacht (2012)
Marie-Aude Murail: 3000 Arten Ich liebe dich zu sagen (2015)