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Arthur "Art" Keller war jahrzehntelang als Drogenfahnder an den Quellen vor Ort, u.a. in Mexiko und Guatemala, und musste dabei nicht selten Gesetze umgehen oder auch brechen, um zuletzt mit Adan Barrera als Anführer des Sinaloa-Drogenkartells den seinerzeit mächtigsten Drogenboss Lateinamerikas "auszuschalten". Doch dieser Erfolg erwies sich als Pyrrhussieg - den ihm folgten erst die Zersplitterung des Drogenkartells und alsbald äußerst brutale Nachfolgekämpfe mit unzähligen "Kollateralopfern" um die Vorherrschaft. Und parallel dazu stieg die Anzahl der Drogentoten in den USA erheblich an, anstatt zu sinken. Eigentlich wollte sich Keller schon ganz aus der Drogenfahndung zurückziehen - doch als ihm die Leitung der Drugs Enforcement Agency (DEA) angeboten wird, sagt er zu. Denn damit hat er die Position, den Kampf gegen Drogen nun von einer ganz anderen Seite anzugehen. Anstatt Drogenbosse zu jagen, folgt er jetzt der Spur ihres Geldes …
Don Winslow hat mit "Jahre des Jägers" die Trilogie seiner "Kartell-Saga" so überzeugend wie konsequent vollendet.
Seit über 50 Jahren, und damit länger als jeder andere Krieg, in dem die USA involviert waren, hält der Kampf gegen die Einfuhr von Drogen in die Vereinigten Staaten an. In den letzten zehn Jahren starben in den USA in stetig steigender Tendenz jährlich mehrere zehntausend Menschen an einer Überdosis harter Drogen wie Heroin. Weniger bewusst, aber nicht minder schrecklich ist, das hinter der Grenze, die Trump mit einer Mauer zu sichern können glaubt (Originaltitel des Romans "The Border"!), die Verteilungskämpfe um Anbaugebiete und Routen der Drogenkuriere in all den Jahren mindestens ebenso viele Todesopfer forderten - neben konkurrierenden Kriminellen, vor allem auch unter den von ihnen erpressten Ärmsten der Armen und ihren Kindern.
Lenkten die Vorgängerromane "Tage der Toten" und "Das Kartell" den Blick noch vor allem auf die geradezu dynastischen Verwicklungen mexikanischer Drogenbosse, denen ein cooler und eisenharter Hund wie Art Keller trotz mancher Schwierigkeiten auch mit eigenen US-Behörden auf die Spur zu kommen suchte, setzt der gealterte Keller nun seinen aus Erfahrung gewonnenen Weitblick ein, um sich zu fragen, was das Ganze eigentlich soll? Wozu Drogenbosse jagen, wenn einem verhafteten oder getöteten gleich wieder mehrere nachfolgen? Diesen Part delegiert Keller nun unter neuer Prämisse an von ihm handverlesene Undercoveragenten. Letztlich steht und unterliegt der Drogenhandel wie alle anderen "Geschäfte" dem Zusammenhang von Angebot und Nachfrage. Käme die Nachfrage zum Erliegen, würde das Gleiche für den Drogenhandel gelten. Doch für die Nachfrage gibt es viele Gründe, deren Überwindung ein Utopia an Weltverbesserung voraussetzte. Aber da ist noch ein weiterer, bislang kaum beachteter und erst recht nicht konsequent verfolgter Mechanismus: Die Drogenbosse schwimmen geradezu in Geld, das sie "waschen" und in saubere Projekte investieren müssen. Und wenn bei Großprojekten mehrere 100 Millionen fehlen, helfen sie gerne aus. Zwar gibt es auch in den USA Gesetze, die das Annehmen solcher Gelder verbieten, doch wenn unter den Investoren Minister und womöglich sogar der künftige Präsident der Vereinigten Staaten sind …
Neben seiner offenkundig fundierten Recherche für die Trilogie ist eine weitere Qualität von Don Winslow, wie er in allen drei Romanen anhand verschiedener Personen und damit verbundener Erzählperspektiven seine Erzählstränge anlegt und miteinander verknüpft. Zusammen gehen sie stets weit über die übliche actionreiche Cop-jagt-Verbrecher-Geschichte hinaus, sondern weiten den Blick auf davon Betroffene wie z.B. Journalisten aber auch auf einen zehnjährigen Guatemalteken, der von seinen spärlichen, einer Müllhalde abgetrotzten Cents mindestens die Hälfte einem kaum älteren "mara" abgeben muss, damit seine Mutter nicht vergewaltigt oder er zusammen mit ihr getötet wird - der Drogenhandel ist zwar das ertragreichste, aber nur eines von vielen Geschäftsfeldern der Kartelle.
Ein unbarmherziges System wird aufgezeigt, in dem eigentlich alle Opfer sind und die meisten früher oder später auch zu Tätern werden.
Am ungewöhnlichsten ist jedoch, dass ein US-Autor einen aktuell regierenden US-Präsidenten mehr als kenntlich zur Romanfigur "erhebt". Zwar unter anderem Namen führt er ihn sogar mit Twitternachrichten in typischer Trump-Syntax ein. Damit positioniert sich Don Winslow recht eindeutig, allerdings ohne sich als Parteigänger für eine ihm genehmere Alternative in dem Amt ins Zeug zu legen. Einzig verstörend daran ist, das all das Unterstellte diesem jetzigen Präsidenten durchaus zuzutrauen ist.
Die in dem Roman bis ins Detail beschriebene Brutalität von Folterungen und Morden ist genauso schwer zu ertragen wie die Konkretisierung jener Brutalität von Lebensumständen, mit der unzählige Kinder bereits seit ihrer Geburt konfrontiert sind. Doch diese Beschreibungen haben nichts mit billiger Effekthascherei zu tun, sondern sind schlicht nicht auszublendender Teil eines umfassenden Kriegsberichts.
Don Winslow hat mit dieser Trilogie sein Opus Magnum geschaffen, das analog zu Tolstois "Krieg und Frieden" das Zeug zum Klassiker hat. Alle drei Bände in chronologischer Reihenfolge zu lesen, ist von daher sehr zu empfehlen. Zum Verständnis von "Jahre des Jägers" ist aber die Lektüre der Vorgängerbände nicht zwingend notwendig, da auf den ersten 200 Seiten das Wesentliche daraus geschickt noch einmal eingeführt wird.
Weitere Besprechungen zu Werken von Don Winslow siehe:
Don Winslow: Pacific Private (2009)
Don Winslow: Frankie Machine (2009)
Don Winslow: Jahre des Jägers (Die Kartell-Saga, Band 3) (2019)