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Vier Wochen vor Weihnachten wacht Pauline mitten in der Nacht auf. Irgendetwas stimmt nicht. Wieso liegt sie in ihrem und nicht so wie immer in Mamas Bett? Aus dem Wohnzimmer sind Stimmen zu hören. Der Fernseher? Nein, es ist Mama, und sie unterhält sich - mit dem Weihnachtsmann. Und jetzt küsst Mama den Weihnachtsmann auch noch! Eigentlich müsste Pauline jetzt schreien. Das hat sie immer schon so gemacht, wenn Mama einen fremden Mann geküsst hat. Aber das ist ja kein fremder Mann, es ist der Weihnachtsmann. Also beginnt sie stattdessen 'Von drauß' vom Walde komm ich her' aufzusagen.
Es gibt hierzulande kaum eine zweite Autorin, die wie Sabine Ludwig mit soviel treffsicherem Humor vom zuweilen durchaus beinharten Alltag zwischen Kindern und Erwachsenen zu erzählen vermag. Ohne je auch nur eine ihrer Figuren auf Karikaturen ihrer selbst zu verkürzen, versteht sie es, berühmt berüchtigte Muster aufzuzeigen. So ist Paulines Mama eine alleinerziehende Mutter, die zwar gerne wieder mit einem Mann zusammenleben möchte, sich Pauline gegenüber jedoch auch eindeutig festgelegt hat: 'Du bist für mich das Wichtigste auf der Welt.' Mutter und Tochter haben sich innerhalb dieser Prioritätensetzung denn auch eigentlich ganz gut eingerichtet. So weiß sich Pauline stets auf der sicheren Seite, wenn sie entweder ihre Abwehrschreie loslässt oder diese Schreie notfalls auch noch durch heftiges Kratzen ihrer offenbar von Neurodermitis geplagten Haut unterstreicht. Andererseits: Pauline darf wegen ihrer Allergieneiguung all das nicht essen, was schmeckt, weder Nüsse und schon gar nicht Schokolade. Und Pauline hat große Sehnsucht nach ihrem Vater. Aber der hat mittlerweile eine andere Frau und ein weiteres Kind, das noch ein Baby ist. Eine scheinbar ausweglose Situation, wie sie wohl von vielen solcher Kleinstfamilien geteilt wird - wäre da nicht der eigentliche Held dieser Geschichte, der Weihnachtsmann. Im wirklichen Leben Apotheker, gibt er immer wieder dem Wunsch Paulines nach, sie in seiner Weihnachtsmannverkleidung auszuführen. Neben den sich daraus ergebenden, köstlich ausgemalten skurrilen Abenteuern weckt das bei Paulines Klassenkameraden auch einige Begehrlichkeiten. Der Weihnachtsmann macht mit Pauline vieles von dem, was mit ihrer Mutter unmöglich wäre. Auch Schokolade essen - und eigentümerlicherweise ohne dass dies irgendwelche allergischen Reaktionen hervorrufen würde. Und als sich am Ende Paulines krank gewordene Mama trotzdem wieder endgültig von dem Weihnachtsmann zu verabschieden müssen glaubt, kommt es doch noch zu einem hart erarbeiteten, und gerade deswegen glaubwürdigen Happy End. Zum Vorlesen ab 6 Jahren, zum Selberlesen ab 8 Jahren geeignet - sofern der Glaube an den 'echten' Weihnachtsmann bereits vor der Lektüre ins Wanken geraten ist, wird die ganze Familie ihr Vergnügen an diesem, erneut von Sabine Wilharm kongenial illustrierten Buch haben und en passent auch so manchen Selbsterkenntnisgewinn daraus ziehen können. Eins ist jedenfalls sicher: Sich vor anderen zum Weihnachtsmann zu machen, ist keine Schande!
Weitere Besprechungen zu Werken von Sabine Ludwig siehe:
Sabine Ludwig: Die besten Rabeneltern der Welt (1998)
Sabine Ludwig: Fische haben keinen Po (1999)
Sabine Ludwig: Mops und Molly Mendelsohn (2000)
Sabine Ludwig: Weihnachtsmänner küsst man nicht (2002)
Sabine Ludwig: Die schrecklichsten Mütter der Welt (2009)
Sabine Ludwig: Aufruhr im Schlaraffenland (2010)