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Nicht lange und es jähren sich zum 150. Mal jene Märztage,
die den ersten Kampf um eine demokratische Verfassung auf Berliner bzw.
Preussens Boden markieren und den Wunsch nach einem vereinten Deutschland
laut werden ließen.
Klaus Kordon setzt in seinem Roman "1848" den Anfang mit einer zarten
Liebesgeschichte. Jeden Morgen legt der Zimmerergeselle Frieder der 15-jährigen
Jette drei Kartoffeln vor die Tür. Jette ist seine Nachbarin und lebt
mit ihrer älteren Schwester, der "Sternenkiekerguste" und deren
Sohn Fritzchen in einem armseligen Loch über dem Haustor. Aber dann
kommt Frieder für acht Monate ins Gefängnis, obwohl er an den
Ausschreitungen wegen der ungerechtfertigt hohen Kartoffelpreise nur am
Rande beteiligt war. Die Erfahrung der ungerechten Verhandlung vor dem
Richter und die Zustände im Gefängnis politisieren Frieder, und
er schließt sich den "bärtigen Demokraten" an. Jette
hat unterdessen ihrerseits versucht, aus dem Loch zu kommen und Arbeit
zu finden. Das war nur möglich, nachdem die kranke Mutter Frieders
ihre Vorbehalte gegenüber der sich prostituierenden "Sternenkiekerguste"
abzulegen vermochte und sich um Fritzchen kümmerte. Ein kurzes Glück,
denn am 18. März 1848 hat auch sie ein Opfer zu beklagen.
Nur ein Jugendbuch? "1848" ist trotz seiner ausführlich kompetenten
Schilderungen der damaligen Zustände in einer solch guten sprachlichen
wie kompositorischen Verfassung, daß es sogar Jugendliche im Alter
Jettes verstehen und lieben werden. Hier wird nichts verniedlicht, Hunger,
Mißbrauch und Elend nachvollziehbar beim Namen genannt. Klaus Kordon
ist es gelungen, in diesem Roman unzählige, vermutlich langwierig
zu recherchierende Details unterzubringen, ohne daß das je bemüht
oder gar belehrsam wirkt. Spannend und anrührend von der ersten bis
zur letzten Zeile sind allein schon die vielen Sprüche Augustes die
Lektüre wert - darauf "drei heilige Eide und een verlognet Ehrenwort!"
Dieses Buch ist im besten Sinne anstößig, ein Geschichtsbuch
"von unten", das von wahren Geschichten lebt und von Erfahrungen,
die einfach nicht in Vergessenheit geraten dürfen.
Weitere Besprechungen zu Werken von Klaus Kordon siehe:
Klaus Kordon & Peter Schimmel: Die Lisa (1991)
Klaus Kordon: Die Zeit ist kaputt - Die Lebensgeschichte des Erich Kästner (1994)
Klaus Kordon: Adams Apfel (1994)
Klaus Kordon: Lütt Luftballon (1994)
Klaus Kordon: Der goldene Ritter (1996)
Klaus Kordon: 1848 (1997)
Klaus Kordon: Joss oder der Preis der Freiheit (2014)